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Robin Hood hilft nur den Armen

Johannes Lange

 

Robin Hood trägt heute keine Strumpf­ho­sen mehr. Sein Flit­ze­bo­gen hängt in der Rum­pel­kam­mer am Nagel. Aber er hat mehr zu tun, als je zuvor. Wenn du was aus dir machen willst, dann brauchst du Robin Hood. Musst ihn fin­den und holen. Und das ist so leicht, wenn man sechs Uhr früh klar sieht. Wenn man einen Plan hat. Wenn man genau weiß, wor­aus ein glück­li­ches Leben besteht. Zuerst muss ein Auto her. Mobil sein. Fle­xi­bel. Ich gehe also los, suche mir die schlimm­ste Schrott­ki­ste. Jung, aber Unfall­auto. Beu­len und Krat­zer. Der Aus­puff weg. Das Lenk­rad ver­bo­gen. Die Sitze ver­schmort von einem Brand. Die Motor­haube mit Duct-Tape auf den ver­beul­ten Kot­flü­geln gehal­ten und im Lenk­rad noch die zwei Ker­ben, wo der Fah­rer mit sei­nen Schnei­de­zäh­nen auf­ge­schla­gen ist. Mit ein wenig Mut­ter­erde im Innen­raum, einer halb­her­zi­gen Behand­lung mit Farbe und Ham­mer und Schrau­ben­zie­her für den Lack ist die Karre per­fekt. Ich lasse mich mit dem Schand­fleck von einem Freund fil­men, erzähle dem Ziel­pu­bli­kum, was für ein Rein­fall das Auto war. Ich sage, ich dachte, ich könne es selbst auf­bauen. Ich sage, mir fehle das Geld. Ich arbeite als Street­wor­ker und brau­che das Auto, sage ich. Und ich sage: „Please, MTV, pimp my ride!“ Ein paar Wochen spä­ter steht ein Kame­ra­team vor mei­ner Tür, wir dre­hen ein paar Dut­zend mal, wie ich aus­ra­ste, als ich XZi­bit sehe und ihm die Schrott­ki­ste vor­führe. Zwi­schen­durch schmin­ken. Danach war­ten. Und dann habe ich ein neues Auto mit Body-Kits, LCDs im Rück­sitz und einem Melo­nen­bäll­chen­ma­cher in der Mit­tel­kon­sole. Streich Num­mer 1. Machs noch ein­mal, Robin! Als näch­stes eine Frau. Die Aus­wahl war groß und ein­fach. Bekannte über­las­sen mir einige Tage ihren Bau­ern­hof, erklä­ren mir die Grund­la­gen des Land­le­bens und zei­gen mir, in wel­chem Hän­ge­schranch die Kaf­fee­tas­sen ste­hen. Dann tue ich ganz bescheu­ert, erkläre meine Ver­zweif­lung, mit 23 noch Jung­frau, alle Pus­sys gehen in die Stadt, sage ich, aber ich kann mich nicht vom Gut der Eltern tren­nen. Dann sage ich noch „Sein oder nicht sein ist des Pudels Kern, gell?“ und lache, damit die Ziel­gruppe sieht, dass ich recht dumm bin. Ein paar Wochen spä­ter fährt ein Mer­ce­des-Sprin­ter auf dem Hof vor. An der Seite steht „Bauer sucht Frau“. Ein paar Män­ner gucken, wo sie Kabel ver­le­gen und Lich­ter auf­stel­len kön­nen. Eine Dame zeigt mir einen Kata­log mit den Frauen, die sich bewor­ben haben. Ich darf mir eine aus­su­chen. Zwi­schen den Dreh­ar­bei­ten erkläre ich der Frau aus dem Kata­log, dass ich gar kein Bauer bin und sie sagt: „Ja, ich wollte auch nur das Geld.“ Sie sagt: „Ich brau­che gar kei­nen dum­men Bau­ern“, und: „Ich will gar nicht aufs Land.“ In der Sen­dung erklärt sie dann, dass ich sie anwi­dere und sie Scham­haare von mir in ihrem Gäste­bett gefun­den hätte. Außer­halb der Sen­dung hei­ra­ten wir. Und wir kas­sie­ren Hono­rar vom Sen­der. Und dann pas­sen wir jeden mor­gen um halb sechs Uhr den Zei­tungs­jun­gen ab und lesen uns die Anzei­gen durch. Neben der Tasta­tur tür­men sich Aus­drucke von immoscout24.de. Bei Zwangs­ver­stei­ge­run­gen wer­den wir mit unse­ren Vor­na­men begrüßt. Robin Hood weiß heute nicht mehr, wo er anset­zen soll. Du musst ihm eine Situa­tion lie­fern, die er ver­bes­sern kann. Nach Ein­sät­zen für Robin und seine Bande stre­ben. In der Phase der Haus­su­che ist das ein Stre­ben nach den Wör­tern „aus­bau­fä­hig“, „für Bast­ler“, „indi­vi­du­elle Gestal­tung mög­lich“, „leichte Schä­den“ und „reno­vie­rungs­be­dürf­tig“. Und dann kau­fen wir die letzte Bruch­bude, viel zu groß für uns und viel zu alt. Mit Well­blech­dach und Löchern wie Karies im Mau­er­werk. Asbest. Rohr­brü­che. Schim­mel. Ach, das ist auch alles so leicht sel­ber zu bewerk­stel­li­gen. Manch­mal will die Pro­duk­ti­ons­firma, dass die Kun­den die Reno­vie­rung sel­ber bezah­len. Des­we­gen über­wei­sen wir all unser Geld einem guten Freund und schrei­ben als Ver­wen­dungs­zweck: „Schul­den Haus­kauf“. Meine Frau und ich kün­di­gen unsere Jobs, zie­hen in das neue Haus und rufen „Tine Witt­ler, hilf uns, wir haben uns über­nom­men, hau­sen wie die letz­ten Asis uns zer­bre­chen an den Schul­den.“ Die Pro­duk­ti­ons­firma schickt also Tine Witt­ler und besich­tigt unser Leben zwi­schen Spinn­we­ben, ein­stür­zen­den Wän­den, Dreck, Rat­ten­kot und Schul­den. Wir erklä­ren, wir hät­ten einen hohen Kre­dit von einem Freund auf­ge­nom­men, um das Haus zu kau­fen. Wir sagen, wir dach­ten, er würde uns mehr Zeit las­sen. Aber er wollte das Geld sofort zurück haben, sagen wir. Jetzt ste­hen wir da und haben nichts mehr, womit wir all die Schä­den aus­bes­sern könn­ten. Meine Frau fällt Tine Witt­ler schluch­zend in den Arm und heult: „Mein Mann hat sei­nen gan­zen Jah­res­ur­laub genom­men, um das Haus zu machen. Als der Urlaub vor­bei war, hat­ten sie seine Stelle schon ander­wei­tig besetzt.“ Ich schaue gefasst in die Kamera und sage: „Ich kann nicht ver­ste­hen, dass es sol­che Men­schen gibt. Wir sind doch keine Maschi­nen, wir haben doch Gefühle.“ Wäh­rend das Team da ist, ent­schließe ich mich spon­tan, zum Messi zu wer­den und zeige Tine Witt­ler meine Samm­lung. „Das sind alles Dinge, die ich nie wie­der brau­che, die sammle ich“, sage ich und zeige stolz auf den Hau­fen Müll vom Vor­be­sit­zer des Hau­ses. Tine Witt­ler ist ent­setzt und die Leute vom Fern­se­hen ent­schei­den, dass wir ein abend­fül­len­des Spe­cial mit Tine Witt­ler und Peter Zwegat wert seien. Robin Hood und Little John. Und zwei Monate spä­ter leben wir auf 300m² Eigen­heim mit Plas­ma­fern­se­her, Was­ser­bett, Pool im Kel­ler und drei Bade­zim­mern. Die »Schul­den« sind weg und wenn du mit einem Kame­ra­team in einer Chef­etage auf­tauchst, zah­len sie den drei­fa­chen Lohn. Peter Zwegat und Tine Witt­ler. Char­lotte Engel­hard, Sonya Kraus. Kata­rina Saal­frank, Vera am Mit­tag und all die namen­lo­sen Hel­fer. Robin Hoods unse­rer Zeit. Robin Hoods, die jedem Men­schen zu sei­nen 15 Minu­ten Ruhm ver­hel­fen, die ihm rechts­mä­ßig zuste­hen. Und wenn Robin Hood von den Rei­chen nimmt und es den Armen gibt, ein Dumm­kopf würde sich als Rei­cher aus­ge­ben. Das Stre­ben nach Exi­stenz, Glück, Leben. In mei­nem rie­si­gen Haus mit mei­ner Frau und dem getun­ten Flit­zer in der gepfla­ster­ten Ein­fahrt, da fehlte mir noch eine Sache. Ein letz­tes Stück noch. Nur noch ein Schritt, um das Band am Ziel zu zer­rei­ßen. Also zie­hen wir noch ein letz­tes Mal in eine viel zu kleine Woh­nung, leug­nen unse­ren Besitz und unser Geld und fär­ben uns die Haare und las­sen uns Bärte ste­hen, damit uns kei­ner erkennt, der Pimp my Ride, Bauer sucht Frau und das andere Zeug gese­hen hat. Und dann müs­sen wir einige Tests mit uns machen las­sen und uns einige Fotos angucken und eine Frau hilft uns, das beste Por­trait aus­zu­wäh­len. „So sieht es aus, wenn Sie beide ein ein­zel­ner Mensch wären“, sagt die Frau und sie fragt uns: „Was stel­len Sie sich vor, warum sol­len die Zuschauer gerade Sie aus­wäh­len?“ Und wir zäh­len Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten auf, die dem Ziel­pu­bli­kum gefal­len wer­den, wie kon­ser­va­tiv-libe­ral, ordent­lich, höf­lich, tugend­haft, ein biss­chen jäh­zor­nig aber lie­be­voll. Sport­lich und klug. Dann erklä­ren wir, dass unsere Woh­nung viel zu klein sei, wir uns aber so sehr Kin­der wün­schen. Uns fehle nur das Geld, wir glau­ben aber, wir seien sehr gute Eltern. Ich zeige der Kamera das lie­be­voll ein­ge­rich­tete Kin­der­zim­mer und sage, ich hätte es bereits vor drei Jah­ren so ein­ge­rich­tet, aber es wolle ein­fach nicht klap­pen. Meine Frau weint ein biss­chen in die Linse und heult dann: „Warum nur wir?“ Sie heult: „So viele Men­schen und gerade wir sind beide unfrucht­bar!“ Und dann müs­sen wir nur noch war­ten. Ziem­lich sicher, dass sie uns wäh­len. Wir haben sie ein­fach zu gut beob­ach­tet. Robin Hood zu gute Vor­ar­beit gelie­fert. Heute Abend wer­den eine Mil­lion Men­schen die TET-Num­mer anru­fen, die uns der Sen­der zuge­wie­sen hat. Und dann wer­den sie sich stolz in ihre Ses­sel leh­nen, mit dem Bier auf den Fern­se­her zei­gen, wenn wir heu­lend und ver­zwei­felt im Bild sind und sagen: „Wenn es ein Paar auf der Welt gibt, das die­ses künst­lich gemachte Kind mit den gan­zen Wunsch­ei­gen­schaf­ten der Eltern wirk­lich krie­gen soll, dann ist es die­ses hier.“ Und dann wer­den sie die Brust anschwel­len las­sen und vor ihrem letz­ten Schluck Bier an die­sem Abend sagen: „Ich bin froh, dass wir dafür mal ein biss­chen Tele­fon­ko­sten aus­ge­ge­ben haben, die zwei da, die ver­die­nen die 5000 Euro lebens­lange Zusatz­zah­lung im Monat wirk­lich. Die bei­den sind die ärm­sten Men­schen der Welt.“ Und Robin Hood hilft nun mal den Armen.


Wett­rü­sten mit Eier­flip. Erzäh­lun­gen, Wart­burg-Ver­lag, Edi­tion Muschel­kalk, Bd. 31, Wei­mar 2011.
Mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Autors. Alle Rechte beim Autor.
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