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Retusche

Stefan Petermann

 

Die schwar­zen Flecken, die vor mei­nen Augen schwir­ren, gau­keln vor, Mücken zu sein. Auch wenn ich nach ihnen schlüge, würde ich sie nie erwi­schen. So ist das mit allem im Leben. Beson­ders mit Schön­heit. Wenn ich mich an die­sem Ort umblicke: das Gegen­teil von Schön­heit. Die Plüsch­so­fas, an den pas­sen­den Stel­len dezent zer­fetzt, an den kar­min­rot gestri­che­nen Wän­den grell­bunte Poster ame­ri­ka­ni­scher Sci­ence-Fic­tion-Filme aus den 50er-Jah­ren. Aus Maschi­nen schäumt Milch­kaf­fee, und aus zwi­schen Grün­pflan­zen ver­steck­ten Sub­woo­fern die tiefe Stimme einer in die­sem Quar­tal ange­sag­ten Soul­sän­ge­rin. Man kann nicht behaup­ten, es wären häss­li­che Men­schen hier im Café. Aber durch­weg schön ist nie­mand. Ein Pickel trotz kürz­lich gefei­er­tem drei­ßig­sten Geburts­tag, ein pflau­men­far­be­ner Augen­ring, ein Ekzem, ein Dop­pel­kinn, ein star­res Auge, dicht gewach­sene Augen­brauen, Lip­pen vol­ler Schorf, abge­kaute Fin­ger­nä­gel, Haare, die sich selbst­be­wusst aus der Nase schlän­geln, Ober­arme wie Mehl­säcke durch­hän­gend, Reste von Waden, die mit Dau­men und Zei­ge­fin­ger umfasst wer­den könn­ten, fet­ti­ges Haar, ein aus­ge­fran­ster Leber­fleck, ein abste­hen­des Ohr – Klei­nig­kei­ten, die nie­mand im Detail bemerkt, die jedoch den Gesamt­ein­druck prä­gen und ihn schließ­lich besu­deln. Das ein­zig wahre Schöne hier an die­sem Ort liegt auf einem klei­nen Bei­stell­tisch. Eine lan­des­weit erschei­nende Illu­strierte, auf dem Titel eine man­del­äu­gige Schön­heit – das zarte Lächeln uner­gründ­lich, die Wan­gen­kno­chen erhe­ben sich über die makel­lose Haut ihres Gesichts. Ich habe diese Frau erschaf­fen, ihr Bild geformt, den Zau­ber gestal­tet, einen Zau­ber, den nie­mand benen­nen kann. Er ist ein­fach da und wirkt. Meine Arbeit liegt in jedem Heim. Das Titel­blatt der Fern­seh­zeit­schrift mit der Soap-Dar­stel­le­rin, das Cover der CD der bri­ti­schen Inde­pen­dent-Band, die das Lied für diese Arzt­se­rie geschrie­ben hat, der Umschlag des neuen Best­sel­lers des spa­ni­schen Erfolgs­au­tors über ein Sana­to­rium wäh­rend der Franco-Dik­ta­tur, Tim Mäl­zer, Suppe abschmeckend auf einem Koch­buch­ti­tel, die sym­pa­thi­sche Land­wir­tin auf dem Eti­kett des Bio­to­ma­ten­auf­strichs, eine glück­li­che Fami­lie, die in den kosten­lo­sen Post­wurf­sen­dun­gen auf preis­gün­sti­gen Gar­ten­mö­beln sit­zend einen son­ni­gen Tag im Grü­nen begeht.

All das ist mein Werk. Ich retu­schiere Bil­der. Wie in die­sem Augen­blick. Der Lap­top auf mei­nen Knien vibriert geflis­sent­lich, Wärme durch­strömt mei­nen Kör­per, und ich bin dank­bar dafür, hier sein zu dür­fen und hel­fen zu kön­nen, diese Welt ein win­zi­ges biss­chen wun­der­schö­ner zu machen. Auch wenn es nur die schmie­rige Titel­seite eines Schund­blatts für Teen­ager ist. Exkre­mente in Hoch­glanz, meine Auf­gabe ist es, sie strah­len zu las­sen. Also besei­tige ich die Spu­ren der abge­bro­che­nen Ent­zie­hungs­kur im Gesicht einer Jung­schau­spie­le­rin, die als Kin­der­star begann und nun mil­lio­nen­schwer und ein Wrack ist. Es ist nicht so schwer, hüb­sche Men­schen wie Göt­tin­nen erschei­nen zu las­sen, nicht mal müh­sam, häss­li­che Men­schen in Vor­bil­der für ganze Jahr­gänge von Schul­ab­bre­che­rin­nen zu verwandeln.

Behände führe ich die Maus, addie­ren meine Fin­ger Tasten zu Kom­bi­na­tio­nen, aus denen sich Aktio­nen erge­ben, die zu Schön­heit füh­ren. Auf mei­nem Bild­schirm ein nach­läs­sig aus­ge­leuch­te­tes Por­trät des ehe­ma­li­gen Kin­der­stars, ein Schnapp­schuss nur, den es zu opti­mie­ren gilt. Das Weiß der Augen muss so kalk­weiß wie mög­lich strah­len, die Iris muss als sma­ragd­grü­ner, mee­res­blauer, hasel­nuss­brau­ner Licht­blitz durch die dunkle Nacht zucken. Die Augen­brauen ver­schiebe ich leicht nach oben, füge eine zusätz­li­che Kurve ein, ver­leihe so dem gelang­weil­ten Mie­nen­spiel einen Hauch leo­par­den­glei­cher Ele­ganz, zupfe vir­tu­elle Här­chen. Die Zähne haben die Farbe einer abge­grif­fe­nen Sonne, auch sie müs­sen kalk­weiß wer­den. Lücken fülle ich mit den Kopien intak­ter Zähne auf und ver­sehe sie nach Mög­lich­keit mit einem wei­chen, keim­freien Strah­len. Die Kon­tu­ren der Lip­pen wer­den geschärft, die obere Lippe pumpe ich auf, so erscheint sie vol­ler, auch hier darf ein leich­ter, glos­si­ger Glanz nicht feh­len. An der Nase feile ich aus­dau­ernd. Klei­ner muss sie wer­den, die Andeu­tung eines Höckers muss weg­ra­diert wer­den, die gerö­te­ten Nasen­lö­cher ver­schwin­den genauso wie die Haut­un­eben­hei­ten auf dem Nasen­rücken. Alle Poren wer­den berei­nigt, die Trä­nen­säcke besei­tigt, ebenso die Schat­ten im Gesicht, unter ihren Wan­gen, an ihren Ohren. Sie trägt ihr Haar dun­kel. Blond wäre bes­ser, blond wäre am besten, doch blond war sie in der letz­ten Sai­son. Dafür fülle ich die Haar­lücken auf, lasse ein Haar­bü­schel ihrer lin­ken Seite über ihre rechte Schul­ter hän­gen. Je vol­ler das Haar, desto mehr Sexua­li­tät, desto mehr Hände, die nach der Zeit­schrift grei­fen und sie voll­fet­ten. Mit eini­gen Klicks wird ihr Gesicht dün­ner, viel dün­ner, als tau­send Jahre Reha­bi­li­ta­ti­ons­zen­trum das schaf­fen könn­ten. Den Teint wedle ich far­big nach, pfir­sich­far­ben erzählt er von nie ver­ge­hen­der Jugend, in einem frucht­ba­ren Rot glän­zen ihre Wan­gen wie Äpfel zur besten Ern­te­zeit. Rot, rot, dann schwarz, schwarz wie ein Schat­ten, der den Busen ver­grö­ßert. Geschickt gesetzt, ver­dop­pelt sich das Busen­vo­lu­men in Sekun­den­bruch­tei­len allein durch die Weg­nahme von Licht. Im Zusam­men­spiel mit den nun kur­ven­rei­chen Hüf­ten ergibt sie wei­test­ge­hend das Bild eines elfen­haf­ten Engels, der schier birst vor sinn­li­cher Begierde. Trotz­dem bin ich kurz ver­sucht, ein­fach den lin­ken Teil ihres Gesichts auf die rechte Seite zu kopie­ren. Sym­me­trie ist alles. Je deut­li­cher sich Gesichts­hälf­ten von­ein­an­der unter­schei­den, desto unan­sehn­li­cher wer­den sie, desto wahr­schein­li­cher die Ver­mu­tung, es könne sich um einen häss­li­chen Men­schen han­deln. Mit sol­chen hat nie­mand gern zu tun. Am Ende bin ich sehr zufrie­den. Der dro­gen­ab­hän­gige Exkin­der­star auf dem Titel­blatt der Teen­ager­zeit­schrift strahlt hell wie ein Stern. Das ist die pracht­volle, mit Kat­zen­gold ver­zierte Pforte zu einem schä­bi­gen Ver­schlag, in dem es nach Ver­fall riecht und der von fin­ste­ren Wege­la­ge­rern bewohnt wird, eine Kaschemme, die Teen­agern in der schwie­ri­gen Zeit der Puber­tät ein Heim bie­ten soll und doch so voll ist von fal­schen Ver­spre­chun­gen, die aus nied­rig­sten Beweg­grün­den gemacht wor­den sind. Aber das ist nicht mein Pro­blem. Ich bin nur für die Maske ver­ant­wort­lich. Unter kei­nen Umstän­den blicke ich dahinter.

Im Café noch eine ähn­li­che Anzahl von Men­schen. Andere mitt­ler­weile, auch wenn sie das Glei­che tun. Immer noch Lap­tops, immer noch kof­fe­in­hal­tige Getränke, noch immer eine augen­zwin­kernde Schlam­pig­keit in ihren Gesten, Klei­dungs­stücken, unbe­ob­ach­te­ten Momen­ten. Jetzt, da meine Arbeit been­det ist, stößt mir die Sze­ne­rie auf. Wenn ich es recht bedenke, gibt es eini­ges, was mir auf­stößt. Vie­les davon ist auf Bil­dern fest­ge­hal­ten. Der Geburts­tag vor drei­ßig Jah­ren, an dem ich anstatt der Car­rera­bahn einen gestrick­ten Schal bekam. Und den­noch unbe­küm­mert in die Kamera lächeln musste. Mein Vater, der Arsch, den Arm um meine Schul­ter in dem Jahr, als er uns ver­ließ. Mein Stief­va­ter, der Arsch, den Arm um meine Schul­ter in dem Jahr, als ich her­aus­fand, dass er meine Mut­ter schlägt. Oder die Pola­roids von der Feier im Boots­haus von Tobias. Erbro­chen habe ich mich, wie so viele an die­sem Abend, aber nie­mand über die Hosen der gro­ßen Liebe. Ein König­reich für kein Pola­roid vom fas­sungs­lo­sen Aus­druck ihres Gesichts. In loser Folge die Bil­der von Gabi, die ihren Höhe­punkt fin­den, als sie das Mes­ser durch die Hoch­zeits­torte drückt, ihren zwei­ten Höhe­punkt, als Gabi im Bett mit Hagen liegt, sie noch erschöpft von der Geburt, er noch die Augen geschlos­sen, und ihren Tief­punkt, als Gabi im Bett mit Kar­sten liegt, sie noch erschöpft vom Bei­schlaf, er noch die Augen geschlos­sen, mit besten Grü­ßen hat sie mir das Bild geschickt. Spä­ter ich – wie ich Freunde belä­stige, bei ihnen näch­tige, für wenige Tage nur, meine Klei­dung zer­schlis­sen wie das Fut­ter der Sofas hier im Café, ich im Super­markt die Hand an Ravio­l­i­do­sen, ich auf dem Revier die Hände, von mir gestreckt, ein Foto für die Kar­tei, schließ­lich kaum noch Fotos, weil Kame­ras mit Ziga­ret­ten nicht zu ertau­schen sind.

Doch das macht nichts. Das ist nicht schlimm. Nur eine end­lose Sequenz von Bil­dern. Wenn jemand weiß, wie diese zu opti­mie­ren sind, dann bin ich das. Das sind meine Bil­der, dar­aus mache ich, was ich will. Da ver­schwin­det die Hand mei­nes Stief­va­ters von mei­ner Schul­ter und mein Stief­va­ter ver­schwin­det und mein Vater ver­schwin­det und meine Mut­ter, die beide in ihr und mein Leben gelas­sen hat. Das Erbro­chene auf der Hose mei­ner ersten gro­ßen Liebe wird aus­ra­diert, nur meine große erste Liebe bleibt, bis mir auf­geht, wie leicht­fer­tig sie mich und unsere Zukunft ver­ra­ten hat, und des­halb ver­schwin­det auch sie vom Pola­roid. Kar­sten wird aus dem Bett neben Gabi ent­fernt, das Bett wird ent­fernt, der erschöpfte, viel zu glück­li­che Aus­druck in Gabis Gesicht. Gabi an sich erfor­dert auf­merk­sa­mes Arbei­ten, sie ist auf vie­len Bil­dern zu fin­den. Doch ich muss mir Mühe geben und kon­zen­triert nach­tu­schen, bis nichts mehr von ihr übrig bleibt. Ich habe die letz­ten Monate damit zuge­bracht, am Ende fühle ich mich erleich­tert, zehn Kilo ver­lo­ren und drei­ßig Jahre retuschiert.

Wenn ich mich nach vorn beuge, tau­che ich in den Glanz von Son­nen­strah­len ein. Drücke ich den Rücken gegen die Fen­ster­schei­ben, spüre ich am Glas die Win­ter­kälte. Von bei­dem etwas wäre gut. Ich schaue mich um. Hier im Café gäbe es eini­ges zu opti­mie­ren. Die geschmack­lo­sen Film­po­ster, die ver­welk­ten Grün­pflan­zen, das kom­plette Inte­ri­eur bit­tet mich, nein, bet­telt mich um Hilfe an. Die Gäste, männ­lich wie weib­lich. Die War­zen, der Schorf, die Ekzeme, die Asym­me­trie, die aus dem Gleich­ge­wicht gera­tene Per­fek­tion. Ich wedele unreine Haut ab, kolo­riere Zähne, ent­ferne sup­pen­tel­ler­große Son­nen­bril­len, Augen blicken mich fra­gend an, ich ent­ferne die Augen, die Gesich­ter, die Kör­per, die Stühle, die Tische, die Spei­se­kar­ten, die Pflan­zen, den Sub­woo­fer, die Milch­ge­tränke, die Milch­ge­trän­ke­au­to­ma­ten, die Men­schen. Am Ende ist alles, was bleibt, kar­min­rote Tapete und schwar­zer Boden­be­lag, ein lee­rer, opti­mier­ter, per­fek­tio­nier­ter Raum, noch im klein­sten Detail stim­mig, ein Raum, in dem sich wun­der­schö­nes Son­nen­licht bricht, ein Raum, in dem nur ich noch bin.


aus: Aus­schau hal­ten nach Tigern. Erzäh­lun­gen, asphalt & anders Ver­lag, Ham­burg 2011.
Mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Ver­la­ges und des Autors.
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