Diana Hellwig
Kathie ist aufgeregt. Kathie will zu den Kaninchen. Sie haben Junge. Blinde, nackte Wesen.
Kathie ist mit ihrem Kind am Streichelgehege und lässt sich nur schwer beruhigen. Sie scharrt und zerrt.
Die Kaninchen bewegen sich sacht unter der Wolle. Sie kennen keine Gefahr, so neu sind sie noch in der Welt. Und kaum, dass sie Angst gelernt hätten, wären sie verloren. Aber sie wüssten es nicht. Gewonnen. Zerronnen. Die Mutter, die ihnen ihre Angst noch nicht beigebracht hätte, begänne sofort von neuem in der leblosen Stube. Um die Toten trauerte sie mit Nackenbiss und langen Zähnen.
Kathie schiebt ihren Unterkiefer vor. Falten graben sich in ihre Stirn. Sie wirft ihr Gewicht gegen die Planken des Stalls. Der Stall ächzt. Kathie kämpft wie ein Mann.
Ein zweites Kind kommt, will sie zähmen. Mit geborgter Autorität, großen Schritten, in flachen Sandalen, fliegendem rechtem Arm – eine Gefreite, die Kathie anschreit. Ihre unfertige Stimme riefe Gelächter hervor – wenn Kathie lachen könnte. Und wenn sie nackt wäre, könnte man sehen, wie Schweißperlen von ihrer Stirn liefen. In hellen Tropfen. Doch ihr Haar saugt alles auf. Kathie hechelt und sieht die Kinder ausdauernd an. Ihr Blick fragt, ob sie es ernst meinen, ihr die Kaninchen vorzuenthalten. Diese Kleinigkeit. Diese leise quiekenden Körper.
Mit vereinten Kräften stemmen sich die Kinder gegen den Willen Kathies. Das Halsband ist eng. Die Kinder ziehen und schieben. Kathies Füße scharren durch den Sand. Ihre Augen treten groß und blutunterlaufen hervor.
Einen solchen Willen hat sie. Die Kinder sind nur Kinder. Sie fühlen die Blicke der Leute um sie herum, und ihnen wird heiß. Die Blicke verleihen ihnen eine Kraft, die Kathie nicht kennt und sie zu etwas bewegt. Ganz plötzlich. Sie hebt ihren Kopf und – lässt locker.
Mit Kreischen und Schlurfen fallen die Kinder in den Staub. Der Riemen liegt schlaff. Sie reiben sich ihre Hintern, mischen Jammern mit Lachen, klopfen sich ab. Sie sehen nicht zu den Leuten.
Kathie wartet. Das größere Kind hebt die Schlinge auf und sagt: „Hüh!“ Kathie sieht es mit dunklem Blick an. Dann geht sie los. Abhängigkeitserklärung ihrer Füße, ihrer Beine, ihres Körpers. Ihr Blick bleibt am Gehege, und lange, sehr lange dauert es, ehe sie am Ende auch ihn nach vorn auf den Weg schickt.
Kathie war unmöglich, das wussten die Kinder. Und wie sie jetzt von tief unten, aus der entferntesten Gegend ihres Bauches und ihr durch den Leib fahrend, ein Knurren hören ließ! Wie ihr bulliger Leib auf den viel zu klein und grazil geratenen Beinen steht. Ihre Pfoten, die vor innerer Kraft beben!
Da prusten die Kinder los, dass Kathie zusammenzuckt. Ungezähmt bricht es aus ihnen heraus. Die Münder müssen sie sich zuhalten. Ihre Bäuche hüpfen vor Albernheit und Scham.
Jetzt bücken sie sich zu Kathie hinunter, gehen ganz nah an sie heran, damit sie ihnen gut zuhört. Und damit auch die Leute gut zuhören, sagen sie es etwas lauter. „Also, Fräulein, so nicht. Benimm dich, oder wir nehmen dich nicht wieder mit. Es gibt genug Hunde, dann suchen wir uns eben einen anderen aus. Einen, der folgt. Einen lieben Hund.“
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Das Buch auf der Website des Wartburg Verlags.