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Hofkonzert

Rita Dorn

 

Hof­kon­zert

Das Haus, in dem das Kind mit sei­nen Eltern wohnte, hatte einen schma­len, läng­li­chen Hof,
der durch Holz­lat­ten­zäune von den Höfen der angren­zen­den Häu­ser abge­trennt war. Im
vor­de­ren Teil war er mit Zie­gel­stei­nen gepfla­stert und etwa in der Mitte befand sich ein
Gully, des­sen guss­ei­ser­nes Abdeck­git­ter beschä­digt und not­dürf­tig mit Draht ausgebessert
war. Wenn es reg­nete, gur­gelte das Was­ser in die­sen tie­fer lie­gen­den Schlund und das Kind
sah dem rotie­ren­den Was­ser zu. Manch­mal warf es kleine Stein­chen durch die Git­ter und
lauschte auf das weit unten ent­ste­hende Geräusch. Wie tief ist das, Mutti? Wohnt da unten
der Wassermann?
Der Was­ser­mann? Na, schön wärs! Da woh­nen ganz andere Vie­cher. Komm weg da.
Es gab in der Umge­bung einige Kat­zen, die drau­ßen leb­ten und von man­chen Bewohnern
gefüt­tert wur­den. Auch die Mut­ter liebte Kat­zen und hatte unter dem Küchen­fen­ster ein
Tel­ler­chen ste­hen, das sie regel­mä­ßig mit Essens­re­sten füllte. Eine schwarz-weiße Katze kam
beson­ders oft vor­bei und ließ sich dann auch von der Mut­ter rufen und streicheln.
Eines Tages war der Regen ganz beson­ders hef­tig und anhal­tend gewe­sen und der Gully
hatte nicht alles Was­ser auf­neh­men kön­nen. Um ihn herum hatte sich daher eine große
Pfütze gebil­det. Als das Kind mit der Mut­ter in den Hof kam, hör­ten sie ein fiependes
Geräusch, dazwi­schen ein Fau­chen, dann wie­der ein lang­ge­zo­ge­nes Pfei­fen. Es klang
unheim­lich. Die Mut­ter nahm das Kind bei der Hand. Bleib ste­hen, flü­sterte sie. Es bot sich
ihnen ein selt­sa­mes Schau­spiel: In der Mitte der Pfütze saß eine Ratte bis zum Bauch im
Was­ser. Sie fiepte und bewegte sich auf­ge­regt im Was­ser hin und her. Um die Pfütze herum
jedoch lief, hef­tig mit dem Schwanz schla­gend und laut fau­chend, die schwarz-weiße Katze.
Beide hiel­ten ein­an­der in Schach: die Ratte konnte nicht hin­aus und die Katze wollte nicht
hin­ein. Die Mut­ter ent­schied, nicht an die­ser Bühne vor­bei zu den wei­ter hin­ten gelegenen
Asch­ton­nen, son­dern zurück in die Woh­nung zu gehen.
Spä­ter erklärte sie dem Kind, dass Kat­zen neben Mäu­sen auch Rat­ten fan­gen kön­nen und
dass diese Ratte wahr­schein­lich aus dem Gully her­auf­ge­kom­men war, weil es so heftig
gereg­net hatte. Nun fand sie nicht zurück und die Katze scheute zwar das Was­ser, wollte sich
aber die Beute nicht ent­ge­hen las­sen. Beide Tiere pfif­fen und fauch­ten immer aufgebrachter
und das war selbst noch durch das ange­lehnte Fen­ster bis in die Küche zu hören. Wie dieses
Kon­zert sein Ende fand, erfuhr das Kind nicht.
Ein paar Tage spä­ter bekam der Gully ein neues Abdeck­git­ter. Hier kommt kei­ner mehr raus,
stellte die Mut­ter zufrie­den fest.
Das Kind machte seit­her beim Spie­len einen Bogen um den Gully.
Und manch­mal schien es ihm, als glänz­ten aus der Tiefe knopf­runde Augen­paare zu ihm
herauf.


aus: Rüpel­chen. Mosaik einer Kind­heit. Die Rechte lie­gen bei der Autorin. @Rita Dorn 2025. Mit freund­li­cher Geneh­mi­gung der Autorin.

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