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Windmann geht die Stürme küssen

Kai Mertig

 

die luft ist raus, sagt wind­mann, und dann steigt er in den wagen und schrammt knapp an den bäu­men vor­bei, es gelingt ihm wie einem über­flie­ger, wie einem, der die jahre im griff hat, der jede kurve mei­stert und dafür auch noch preise bekommt. wind­mann nimmt die über­hol­spur, aber er liegt nachts sechs stun­den wach und starrt die decke an, weil er an eine frau den­ken muss, die er nie mehr wie­der sehen wird. wind­mann fährt ans meer und ich fahre mit ihm, wind­mann baut sich ein zelt am strand und danach wischt er sich den schweiß von der stirn, wind­mann, den man aus­hal­ten muss auf sei­ner klei­nen welt­flucht. im som­mer flie­gen die schwal­ben fort, er lallt es und lacht wie ein böse­wicht in einem alten western. er ist kurz ange­kom­men bei sich. zwei halb­starke ste­hen sich gegen­über und der eine von bei­den zieht den colt. wind­mann fehlt nur ein hut irgend­wie. ich kann ihn mir mit raben­schwar­zem haar vor­stel­len und auch mit tief­ro­tem schot­ti­schen bart. du sollst nicht mei­nen namen nen­nen , er schaut her­über, dass ich es ihn fast sagen höre. wind­mann läuft mir geboh­ner­tem kopf unter sei­nem him­mel, seine augen sind von alt­rosa unter­lau­fen, aber sie bröckeln zwi­schen den engen lidern. über­haupt hat sein gesam­tes gesicht etwas von einer ver­las­se­nen land­schaft im osten euro­pas: es weist grobe uneben­hei­ten auf wie ein hei­mat­lo­ses feld, in das der frost ein­zog. mund und stirn sind unbe­weg­lich, als wäre sein besit­zer vor lan­ger zeit aus­ge­wan­dert. ich kann die kar­pa­ten erken­nen und auch den böh­mi­schen wald. direkt dar­un­ter am kinn kerbt sich eine breite narbe. don qui­jote denke ich, nicht der osten. sie ist so lebens­nah und aus­ge­wach­sen, dass ich erschrecke. sie passt gar nicht hier­her, sie leuch­tet wie eine ampel in der haut, als müsse man vor ihr ste­hen blei­ben, mit­ten im nichts. in wahr­heit sit­zen wir jetzt irgendwo in ita­lien. es ist schreck­lich heiß hier und über uns ist him­mel, sehr selt­sa­mer blauer him­mel, und sehr viel davon. wir essen pizza in einer klei­nen hütte am strand und der wind ist so nah, dass uns alles abhan­den geht. wenn mor­gen das finanz­sy­stem zusam­men­bricht, dann laufe ich von bar zu bar und baue kar­ten­häu­ser bis die krise vor­bei ist. ich weiß nicht, was er mir sagen will. cow­boy­spra­che. er als einer, der alles in den sand gesetzt hat und mit nas­sen taschen aufs meer blickt, reißt wie­der einen schlech­ten witz. wind­mann die­ser komi­sche kauz, der jedes­mal zau­bern kann, wenn es sein muss und der immer ein biss­chen blau ist, wenn er an den fal­schen stel­len lacht. frag nicht, woher er kommt. da ist wind­mann und dort und immer macht er ein klei­nes kunst­stück. mit einem male sitzt er neben dir und du weißt nicht wie. ich mache jetzt ein foto von ihm. mit der einen hand zückt er sein tele­fon, als wolle er einen zau­ber­trick auf­füh­ren, mit der ande­ren schiebt er sich ein stück pizza in den mund und schmatzt. er ver­sucht die frau anzu­ru­fen, an die er immer den­ken muss, sie sei schön hatte er mir auf der fahrt erzählt, so blonde haare und geile beine und dazwi­schen gar nicht schlecht, mit der könne man was anfan­gen. der cow­boy braucht eine frau. ich trinke einen schluck. ich trinke fanta, weil wind­mann becks trinkt und zwei pupil­len in den augen hat, die klein und gefähr­lich aus­se­hen. er war­tet, dass am ande­ren ende jemand den hörer abnimmt, war­tet auf die gei­len beine und die blon­den haare und auf den mund, der so schön ita­lie­nisch spre­chen kann. es klin­gelt, aber am ande­ren ende nimmt kei­ner ab. du sollst nicht mei­nen namen nen­nen. wind­mann weiß nicht wie ihm geschieht, er wird rot, zit­tert am kinn und weint, springt auf und lässt mich sit­zen an einem ort, den wir beide nicht ken­nen. ich gehe zum zelt und warte auf ihn, aber kei­ner kommt, don qui­jote greift gerade die wind­müh­len an. don qui­jote hat viele geschich­ten: er liegt nachts im bett und starrt die decke an, fliegt mit einem auto über die alpen, und hofft dann, dass sich eine frau ein­fach auf seine schul­ter setzt. und wenn es schief geht, dann schießt er sie eben auf den mond. die rakete ist abge­schos­sen. die augen sind klein. para­dies­vö­gel fängt man nicht ein, wind­mann sowas sieht dir ähn­lich. ich wün­sche dir ein haus und eine hoch­zeit und auf der feier danach den här­te­sten schnaps, den du auf­trei­ben kannst. jeden­falls kein cam­ping­zelt, keine lee­ren blicke aufs meer, keine fanta aus der dose, und erst recht kei­nen schlech­ten colt. wind­mann, mir wird jedes­mal schlecht von dei­nen aben­teu­ern und ich will im süden keine pizza mehr essen. ich will zuhause sit­zen in unserm gar­ten und limo­nade trin­ken, die kalt ist. wenn du zurück­kommst, fah­ren wir heim.


Antho­lo­gie »Flight Club« Texte aus dem Eoba­nus-Hes­sus-Schreib­wett­be­werb 2007–2010
Erfurt 2010. Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Autors.

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