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Johann lehnt sich in Weimar aus dem Fenster

Siegfried Nucke

 

Lieb­chen, es riecht heute nach Auf­bruch, das Pflaster,
es dampft aus den Fugen, einem Wol­ken­bruch folgend
gie­ren die Steine nach ent­schlos­se­nen Händen,
die wol­len Auf­ruhr und Klir­ren und Jagen —
so berich­tete man mir, dies sei ein Zei­chen, weil
über­aus sel­ten : Son­nen­fin­ster­nis in der Gesellschaft.
Visio­nen vom Absturz ins Paradies.
Hör­bar schar­ren die hie­si­gen Dich­ter mit ihren Federn
unru­hig über’s Papier, als gelte es,
Mar­mor­blöcke zu schlei­fen zu Köp­fen von mor­gen. Rührend
red­se­lig, die Pre­di­ger des Guten und Schö­nen. Unsi­cher nur,
wann kommt der Mond uns dazwi­schen und wer ist die Sonne?
Welch Glück, Weimar !
Man ist beschäf­tigt: Bes­sere Stra­ßen ins Mor­gen zu bauen
für All­stedt, Ilmenau, im gan­zen Land ! Das schafft Raum
für Kon­zi­lien, die mit Epi­so­den vom Land­le­ben ver­sorgt wer­den wollen.
Zir­kel von Vor­ste­hern diver­ser Bure­aus. Run­den von Räten. Teufelskreise,
wohin man auch anspannt. Abzu­wä­gen wird sein,
was an Gren­zen erträg­lich: Ja, aber ist man nicht selbst nur
eine spär­li­che Spe­cies im Dien­ste des Einen. Ein ande­res ist es,
unter wech­seln­dem Namen rei­sen müs­sen, der Sonne, dem Monde stets hinterher.
Ver­ant­wor­tung zu tra­gen heißt : Philosophieren.
Danke, o Herr, dass du täg­lich mir schen­kest flei­ßige Schreiber
mit Ohren für nie­mals Gesag­tes. Doch taub für Nuan­cen. Redigieren
wird mir wie­der blei­ben als täg­li­che Last. Vater­lands Dank. Gott, Welt, Universum,
lau­ter offene Fra­gen. Es brau­set dem Land­mann viel durch
den Schä­del, neben den Sor­gen um Gar­ten und Feld.
Man möchte doch leben. Auch ohne Auf­ruhr im Her­zen, doch angeregt
für den Tag Ewig­keit . Da wird es mich wie­der brau­chen, mich,
weise die Rich­tung zu wei­sen. Und kei­ner fragt nach, was es kostet,
der Zwei­zei­ler fürs Volk, die Akte, die Akten. Trotz alledem :
Auf­se­hen wird’s machen, Soi­reen wer­den folgen.
Aber, man hat seine Pflich­ten im Hause, dem all­um­fas­sen­den, dem
ohne Namen und mög­li­cher­weise spä­ter am Abend erbärm­li­che Kolik.
Und kei­ner nimmt Rück­sicht. Auf die Berech­nung, wann
diese Pla­ne­ten das Gewohnte durchbrechen.
Man plagt sich und rackert und forscht und alles führt
zu doch kei­nem Ende. Nur Anfänge, die den Hof in Auf­re­gung versetzen.
Fragt mich jemand, was das kostet ?
Da macht sich ein Brun­nen ins Gestern hübsch, Fritz
hat schon wie­der eine die­ser frap­pan­ten Ideen. Mich macht das krank,
gänz­lich, die­ses zum Ein­sturz anre­gende Den­ken, das Buh­len um Antworten,
die sich fort­flü­stern las­sen auf dem Bänk­chen vorm Haus.
Obwohl, auch das muß gesagt sein, schmeckt fein jede Brühe vom Huhn,
vom Täub­chen, vom Schwein. Wie das ein­fa­che Leben. In Kut­schen auf Straßen.
Unter Sonne und Mond auf geord­ne­ten Bahnen.
Doch kei­ner macht mir dafür die Kal­ku­la­tion. Diese Fuh­ren an Stein.
Mut braucht es, Mut !
Ach Lieb­chen, jetzt schrei ich es raus : Revo­lu­tion ! Noch heute.
Ach Lieb­chen, und Schluß ist mit Rück­sicht. Und Revolution,
hört ihr, Bür­ger von Wei­mar. Öff­net die Ohren. Ich habe gesprochen.
Ach Lieb­chen, mein Äug­lein, mein Äug­lein, dein Fen­ster zum Hof,
es bleibt mir ein Segen, ein Göttergeschenk.


Abdruck mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Autors. Alle Rechte beim Autor.
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