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Fischbude

Wolfgang Haak

 

Unterm Stern­zei­chen des Was­ser­manns bin ich gebo­ren. Der Hering war mir nicht in die Wiege gelegt. See­mann wollte ich wer­den. Zunächst aber ab zur Wehr­macht. Kein Platz für Nicht­schwim­mer frei bei der Marine. Unter Sand­lat­schern in rie­si­gen Schwär­men nach Russ­land mar­schiert. Kalt war’s dort wie in den Gewäs­sern des nörd­li­chen Atlan­tiks, wo er lebt, der Herings­fisch. Gefan­gen­schaft in einem Berg­werk Sibi­ri­ens. Getrock­ne­ten Fisch früh und abends. Mit Ach und Krach über­lebt. Als ein Habe­nichts kehrte ich heim mit dem Schwur: Nie wie­der Krieg und nie wie­der Fisch. Da lag er bereits im Salz. Drei Fäs­ser vom Vater selig geerbt. Die Fisch­bude mein Zuhause. Bei Wind und Wet­ter unterm fah­ren­den Volk auf Jahr­märk­ten, Dorf­fe­sten und Rum­mel­plät­zen. Das scharfe Mes­ser in der Hand. Gurke scheib­chen­weise. Zwie­bel­ringe hauch­dünn. Peter­si­lie fürs Auge. Eine fri­sche Sem­mel hal­biert. Fer­tig. Der Kunde ist König, ob Fri­seuse, Koh­l­en­trä­ger, Schau­spie­ler, Haus­frau oder Toten­grä­ber. Keine Ver­lu­ste durch Fisch­ver­gif­tung. Toitoitoi. Das Leben zog im Abstand des Laden­bretts an mir vor­über. Nie­mand fragte, wie mir’s geht. Man fraß den Fisch und ging davon. See­mann wollte ich wer­den. Nachts träume ich vom Meer. Zwie­bel, Essig­gur­ken und Peter­si­lie. Fisch­ge­ruch unter der Haut, Schup­pen in den Haa­ren. Die Frauen konn­ten mich nicht rie­chen. Ein Was­ser­mann auf den Hering gekom­men. Die Netze sind ein­ge­zo­gen. Das Leben ist mir davon geschwom­men. Ver­fluch­ter Hering.


aus: Treib­gut. Warm­zeit. Kurze Prosa, Frank­furt am Main 2004, Axel Diel­mann – Verlag.
Abdruck mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Autors. Alle Rechte beim Autor.
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