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Die alte Marke Wanderer

Wilhelm Bartsch

 

Mein Groß­va­ter schnallte das Kis­sen auf den Gepäckträger
des „Wanderer“-Damenfahrrades, er sagte: Nun schwing dich
hin­auf! Es war ein ruß­schwar­zes Klettergerüst
hoch zum Fahrt­wind, ein Eisen­zeit­mon­ster, ein Sicherheitsnetz
über­spannte das Hin­ter­rad noch und ver­klei­det waren
mit Blech die kra­chen­den Ket­ten, der Len­ker war mächtig
wie Auer­ochs­hör­ner, man radelte auf­recht den Wind an
auf den klei­nen Welt­rei­sen. Denn immer, wenn Groß­va­ters Baß
sich laut­hals erleich­tert hatte im Chor der Altlutheraner
am Tage des Herrn – fuhr er mich stets durch Him­mel und Hölle
der Welt. – Heut zeig ich dir Was­ser, Wil­fried! so sprach er
zum Bei­spiel, das fließt von unten nach oben! – Ich liebte
den Spring­quell voll mär­ki­schem Blut­sand als Edelsteinwäsche
und nas­ses, stum­mes Feu­er­werks­spiel. Wir stiegen
oft ab, ich liebte die Bun­ker so bleich, die Kno­chen so grün
und Rost und geschwärzte Mau­ern in Kuckuckslichtnelken,
den Eisen­draht­stumpf in den Kuscheln, den Großvaterfreund,
dem links in der Tasche sein eines Hosen­bein und da drin,
unend­lich gespie­gelt in sich, die Henry-Milchbonbonschachtel
stets steckte. Vor mir steht oft wie ein Knacken des Rücktritts
die Kind­heit, von Halt zu Halt mit dem „Wan­de­rer“ urbi
et orbi. Und wie ein leben­di­ger Fels wogt noch vor mir
der gewal­tige Groß­va­ter­hin­tern, ich hielt mich und strippte
die wogen­den Stahl­fe­der­zit­zen da unterm Sattel.
Und wie stahl­blaue Milch scharf am Eimer­rand klingelt,
so molk ich die Welt, von einem Ort zu dem andern,
und Groß­va­ter but­terte zu mit kur­beln­den Füßen.


aus: Die alte Marke Wan­de­rer. Gedichte, Edi­tion Orna­ment im quar­tus Ver­lag, hg. Jens-Fietje Dwars, Bucha 2012.
Mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Ver­la­ges und des Autors.
Edi­tion Orna­ment im quar­tus Verlag

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