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Das große Fressen

Ursula Schütt

 

Ein Bär grün­dete eine Fut­ter­bank und ver­sprach allen Tie­ren, den Teil der Beute, den sie nicht sofort auf­fra­ßen, vor Raub­ge­sin­del zu sichern, damit sie auch in Not­zei­ten, im Alter und bei Krank­heit ver­sorgt seien.
Nun hatte der Bär genü­gend zu fressen.
Die Tiere wuß­ten zu schät­zen, daß sie immer dann, wenn sie zu wenig erbeu­tet hat­ten, vom Bären aus der Fut­ter­bank ver­sorgt wur­den. Sie konn­ten auch von den Reser­ven der ande­ren bekom­men, wenn sie dem Bären ver­spra­chen, die­ses Fut­ter und ein Gerin­ges mehr bis zu einem bestimm­ten Zeit­punkt zurückzugeben.
Der Bär fraß gie­rig. Das bemerkte nie­mand, solange die Tiere von den Vor­rä­ten beka­men, was sie brauch­ten. Aber eines Tages war die Fut­ter­bank leer.
Die Tiere beklag­ten sich beim Uhu, den sie für klug und weise hiel­ten, und ver­lang­ten, daß der Bär ver­jagt werde.
„Nie­mand kann eure Reser­ven so gut vor Raub­ge­sin­del schüt­zen wie der Bär«, sagte der Uhu. „Eure Vor­räte sind sicher. Der Bär muß ver­spre­chen, nicht mehr so gie­rig zu sein. Etwas steht ihm für die Siche­rung eurer Vor­räte jedoch zu.«
Auf Anwei­sung des Uhus lie­fer­ten die Tiere den größ­ten Teil ihrer Beute ab, damit der Ver­lust aus­ge­gli­chen wer­den konnte, der durch das große Fres­sen des Bären ent­stan­den war.

Der Fabel fehlt die Moral? Nicht nur der Fabel.


aus: Ursula und Sieg­fried Schütt – »Das große Fres­sen. Grim­mige Fabeln und Fabel­hafte Mär­chen, Edi­tion Orna­ment im quar­tus Ver­lag, Bd. 6., hg. Jens-Fietje Dwars, Bucha 2009. Mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Autors und des Ver­la­ges. Alle Rechte beim Verlag.
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