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Allein wir drei

Kai Mertig

 

Wir kön­nen jetzt gehen, sagt meine Schwe­ster, und legt mir ihre
Hand an das Ohr. Wir sind zuhause, da legt sie ihre Hand auf
den Tisch, die­selbe, mit der sie die Blu­men spä­ter in halber
Höhe auf­recht hält. Wir kön­nen jetzt gehen, sagt meine
Schwe­ster und ich frage: Wohin?

I
Erst müsse alles gut ver­staut wer­den, Haken, Schnur, eine Dose Lebend­fut­ter, das Gepäck für den Aus­flug mit dem was gebraucht wird, es müsse zusam­men in einer lauen Tasche unter­ge­bracht wer­den, hatte er gesagt, und ein Klapp­stuhl gehöre auch dazu, der rusti­kale, der trotz­dem bestän­dige, der, mit dem man schon zum ersten Mal hin­aus­ge­fah­ren sei, und der, ist man erst ein­mal nahe am Schilf, das zu die­ser Jah­res­zeit beson­ders hoch wachse, fest in den Kies zu stel­len sei, um dann dort einige Stun­den nichts als zu war­ten. Es liege an der Fähig­keit, einen Wunsch nach Ruhe dabei zu bewei­sen, hatte er mit Nach­druck gesagt, des­we­gen schließlich
sei man immer hin­aus­ge­fah­ren, über Som­mer hin­weg, die Män­ner vom Dienst in den guten Jah­ren. Der Drang danach, nur in die Land­schaft zu schauen, der Wunsch nach Nichts­sa­gen­wol­len, womög­lich mit klein geknif­fe­nen Augen, auf­grund der Sonne, die zu die­ser Zeit über den hel­len Land­stra­ßen steht, sei dabei von grund­sätz­li­cher Art. Ist man erst ein­mal am Ziel, gelte es, Taschen und Stühle bis in den Kies zu tra­gen, man sei auf die­sem Wege immer über das Gras gegan­gen, bis man den Bin­sen und den noch höher wach­sen­den Sträu­chern, die hier hei­misch sind, lang­sam ent­ge­gen­lief, mit offe­nen Schu­hen und sehr festem Schritt. Dann habe man eine gemein­same Zeit gefun­den, der Rück­fahrt wegen, und sich um das Ufer herum ver­teilt. Die Erin­ne­rung daran, wie es war, mit zwei stum­men Män­nern in einem Wagen zu sit­zen, die stumm waren, weil sie gemein­sam auf nichts als einen See war­te­ten, brachte ihn dazu, im Kopf zurück bis in die Jahre zu gehen, als er ein Mann mit zwei ech­ten Bei­nen war, er erzählte von Din­gen, die er mit sich allein tat, dass er einer war, der sich das Haar mor­gens mit etwas Was­ser zur Seite kämmte bis es glänzte, und dass er danach auf­recht sei­nen Kaf­fee trank, dass er sich dann fer­tig machte für die gemein­same Fahrt an den See, den­sel­ben vor dem er spä­ter mit einem brei­ten Grin­sen wie ein Gold­grä­ber stand. Ein rie­si­ger Fisch hing ihm über den Armen. Er för­derte kleine Geschich­ten zutage, er sprach über Barsch und Bran­dung, Bier und Angel­rute. Er hielt ein paar schlechte Witze parat. Dar­über lachte er, sobald sie gesagt waren. Sein Bauch zit­terte dann son­der­bar hef­tig. Damit der Fang glückt, sei über die Ruhe hin­aus auch ein wenig Gespür mit an den See zu brin­gen. Es genüge nicht, einen Wurm in das seichte Was­ser zu hal­ten und auf ein wil­des Wesen zu war­ten, hatte er gesagt, man müsse die klein­ste Schwin­gung bemer­ken. Wenn der Fisch anbeißt, habe man sich schnell einen festen Stand zu ver­schaf­fen, man müsse mit ent­schlos­se­ner Hand an der Kur­bel dre­hen, erst so hebe man den Schatz aus der wäss­ri­gen Grube. Auch etwas Geschick habe man zu bewei­sen, weil sonst das Tier still seine Run­den kreist.

II
Ich sagte: Erzähl doch vom Schnee. Für jeden Besuch gab es eine Geschichte. In die­sem Win­ter fiel der Schnee wie schon seit Jah­ren nicht. Er türmte sich in den Wie­sen, er sam­melte sich vor dem Haus, es schneite, als habe der Schnee etwas zu ver­ber­gen, das Tau­wet­ter setzte bis in den März noch nicht ein.Vom Schnee sprach er nicht, er sprach von der Fahrt mit den zwei stum­men Män­nern. Erst Jahre spä­ter, als der Groß­va­ter nicht mehr selb­stän­dig ging, ließ der Schnee in den Win­ter­ta­gen all­mäh­lich nach. Groß­va­ters rech­tes Bein begann plötz­lich zu knacken. Bei jedem Schritt am die­ses Knacken, es hörte nicht auf. Alles war mit einem Mal deut­lich. Im Bade­zim­mer rauschte das Was­ser, anschlie­ßend plät­scherte es, immerzu hin­ein in eine Wanne, die aus Kera­mik gefer­tigt war, dazwi­schen das allzu deut­li­che Knacken. Das Was­ser floss über die kalte Beschich­tung, und sam­melte sich sehr flach auf dem Grund, dazwi­schen das Knacken. Das Rau­schen wurde ein Plät­schern, das Plät­schern wurde ein Äch­zen, Groß­va­ter strengte es an, wenn man ihn in das Was­ser setzte, er machte dann große Augen und stieß Laute aus, die nach schwe­rer Arbeit klan­gen, er wusch sich ohne Ruhe den Stumpf, er nannte ihn wört­lich: Das schlaffe Stück Haut am Ende des Ichs. Der län­gere Teil am Ende des Ichs stand dann trocken auf den Flie­sen. Wenn der Groß­va­ter fer­tig mit Baden war, zog ich ihn unter den Armen hoch und setzte ihn sta­bil auf die Kante. Hat man es soweit geschafft, dass man über aus­rei­chend Ruhe und auch Gespür ver­fügt, zu wis­sen, wann einem Fisch der Wurm schmack­haft ist, sei es auch nur ein künst­li­cher Wurm, und hat man dazu noch die Kur­bel mit Eifer sehr lange gedreht, so wird sich erst zei­gen, ob der Fisch wirk­lich an Land gezo­gen ist. Im besten Fall, im Glücks­fall also, nehme man ihn vom Haken ab und halte ihn sicher­heits­hal­ber gut fest, weil er sehr unru­hig dabei wer­den wird. Man lege ihn in eine geeig­nete Tiefe und räume alles, was gebraucht wurde, in eine blaue Tasche. Dann trete man den sehn­li­chen Heim­weg an, gemein­sam zu der ver­ein­bar­ten Zeit.

Oben kräu­selt ein wol­ki­ger Him­mel. Er baut uns weiße Tiere aus Spaß. Wir schauen uns um und schauen uns an, es ist bei­wei­ten kei­ner zu sehen. Allein wir drei. Aus Über­fluss sind wir stumm, aus Über­fluss nach dem lan­gen Schwei­gen. Wird
Zeit, sage ich, und einer legt die Blu­men ins Gras. Unsere Bäu­che sind rund gewor­den vom Kum­mer. Der Groß­mutter strei­cheln wir über den Kopf. Wir sagen nicht: Groß­mutter, alles ist gut. Die Groß­mutter weint. So gehen wir über die lan­gen Wie­sen. Wir kön­nen jetzt gehen, sagt meine Schwe­ster, und ich frage wohin, weil uns die Rich­tung fehlt. 


Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Autors.

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