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Xaya

Siegfried Nucke

 

Xaya

Es ist die Stadt der Ein­äu­gi­gen. Die Häu­ser haben gelbe Namen. Ihre Wände sind blau. Spricht ein Besu­cher das Wort Grün aus, so hat er sein Leben ver­wirkt. Das Lachen der Xaya­ner klingt wie der Schrei des Pfaus, des­sen Bild kei­ner zu zeich­nen vermag.
Ein­mal im Jahr heben die Xaya­ner die Arme und zei­gen sich den Rücken ihrer lin­ken und ihrer rech­ten Hand. Dann sagen sie sich, wer ein Fen­ster öff­nen darf. Flat­tern Koli­bris aus dem Haus, wird der Fami­lie ein Fest berei­tet. Sie regiert ein Jahr und bestimmt, wel­cher Klang den Mor­gen begrü­ßen darf. Die Fami­lie wählt, wel­ches Tier aus der Stadt mit den glä­ser­nen Mau­ern ver­bannt wer­den darf. Die Regen­ten ver­fü­gen, aus wel­chem Mate­rial die Schuhe sind, mit denen die stol­zen Xaya­ner am Mitt­woch durch die Gas­sen gehen. Kork wird verlacht.
Außer­halb der Stadt wach­sen die Kolo­nien der Pfaue, wuchern die Wäl­der der Kork­ei­chen, lagern die Kohor­ten der grü­nen Man­tel­trä­ger und der Zwei­äu­gi­gen. Alle war­ten auf den Tag, an dem sie Ein­lass fin­den in Xaya.
Weit war der Ruf von Xaya gedrun­gen. Mano­lito, der unglück­li­che Aus­bund von Tanz und Liebe, Rau­fe­rei und Wein, wollte aber dort, an jenem bewun­der­ten Ort, hin­ter des­sen Mau­ern noch nie jemand gedrun­gen war, sein Glück fin­den. Lange musste er wan­dern, um den Gerüch­ten von Xaya näher zu kom­men. Schon Dut­zende Mei­len vor Xaya schlug er sich durch die Vor­städte: Giraf­fen stak­ten durch Maul­beer­al­leen, schwarze Papier­zelte quol­len neben Säu­len­kak­teen aus dem Boden, in einem Wei­ler ruh­ten hun­derte sil­ber­glän­zende Menu­ett-Tän­zer. Doch kei­ner gab Mano­lito ein Zei­chen des Auf­bruchs. Sie hoben die Hände und dreh­ten sie vom Tag zur Nacht.
Mano­lito irrte Wochen durch die­ses Laby­rinth, bis er zufäl­lig auf Xaya stieß. Fast hätte er sei­nen Traum über­se­hen, die Stadt für eine wei­tere Spiel­art eines Vor­or­tes gehal­ten, doch dann bemerkte er im Vor­über­ge­hen die glä­ser­nen Mau­ern, in denen sich kei­ner zu spie­geln wagte. Ver­geb­lich suchte er eine Tür, ein Fen­ster, eine Öff­nung. Schließ­lich schlug er mit sei­nem Krug die Glas­mauer ent­zwei, die wie Zucker zerbröselte.
Die Xaya­ner hiel­ten ihn fest und woll­ten ihm den Pro­zess machen. Doch Mano­lito hatte zwei Augen. War er ein Gott oder der Teu­fel? Mano­li­tos Klei­der waren rot und schwarz. Wel­che Farbe davon wird der künf­tige Herr­scher zu sei­nem Zei­chen wäh­len? Wel­che Nuance wird die Macht des Jah­res signalisieren?
Die Rich­ter strit­ten über die Zei­ten. Mano­lito war längst gestor­ben. Durch das zer­schla­gene Glas dräng­ten die Kolo­ni­sten der Vor­städte mit ihren Zel­ten. Sie niste­ten sich auf den freien Plät­zen zwi­schen den Häu­sern mit den gel­ben Namen ein, bis die Erin­ne­rung, wo Xaya lag, als ein Mär­chen ver­lacht wurde.


Abdruck mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Autors. Alle Rechte beim Autor.
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