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Teeniemütter

Anne Büttner

 

Zuge­ge­ben. Ich bin etwas, nun ja, sagen wir – weni­ger bunt als Johanna. Nicht grau, nur eben weni­ger bunt. Eher der Herbst­typ. Gedeckte Far­ben ste­hen mir ein­fach bes­ser. Auber­gine, Olive, Senf und Ocker sind Töne, die mei­nem Haut­typ schmei­cheln. Johanna meint, ich solle mich nicht an den Herbst ver­schwen­den, es gäbe so viele Typen. Ginge es nach ihr, sähen wir aus wie hub­ba­bubba­far­bene Zwil­linge. Auch um die Haare. Sicher würde sie vor Ent­zücken krei­schen, ließe ich sie ein­fach mal machen. Als hätte ich keine ande­ren Probleme.

Wie alle an Johan­nas Seite falle auch ich neben ihr auf. Manch­mal mehr als mir lieb ist. Erst wenn ich merke, dass andere sich nicht an ihrer unüber­hör­ba­ren Begei­ste­rung für alles und nichts, oder ihrem, für mei­nen Geschmack oft über­la­den wir­ken­dem Äuße­ren stö­ren und sich von ihren grund­lo­sen Lach­an­fäl­len nicht abschrecken son­dern anstecken las­sen, ent­spanne ich mich. Sicher ver­mu­ten die wenig­sten, wenn sie uns zusam­men sehen, dass ich Johan­nas beste Freun­din sein könnte. Aber genau das, sagt sie, bin ich. Und weil das so ist, bin ich auch die ein­zige, die sie Johanna nen­nen darf. Denn so heißt sie wirk­lich. Natür­lich wäre es ihr lie­ber, würde ich wie alle, Jo oder J.D. zu ihr sagen. Mach ich aber nicht. Find ich albern. Also haben wir uns auf Johanna geei­nigt. Das „D“ in „J.D“. steht übri­gens nicht für dir-ty, son­dern für Dör-te. Und spricht sich auch so. Dörte. Außer mir weiß das kaum jemand. Johanna hat mich schwö­ren las­sen, es nie­man­dem zu ver­ra­ten. Als hätte ich keine ande­ren Probleme.

Nicht so Johanna, die ent­we­der wirk­lich keine hat oder aber nur keine Lust, dar­über zu reden. Zumin­dest nicht mit mir. Dass es nicht immer so unbe­schwert ist, wie es sein könnte und nach Mei­nung Johan­nas auch sein sollte, liegt also ein­zig an mir. Ich sehe vie­les ein­fach nicht so locker wie sie. Ich zweifle, durch­denke, wäge ab. Johanna hin­ge­gen ent­schei­det gleich. Häu­fig auch gleich wie­der anders. Selbst in Kur­ven ist Johanna gera­de­aus. Manch­mal wäre ich gern wie sie. Manch­mal wünschte ich, sie wäre mehr wie ich oder die ande­ren. Weni­ger ein­zig­ar­tig. Denn das ist sie, ein­zig­ar­tig. Ein­zig­ar­ti­ger als alle, die ich kenne. Jene, deren Indi­vi­dua­li­tä­ten ledig­lich Kopien sind. Johanna aber kopiert nicht, sie kalei­do­sko­piert. In ihr läuft alles zusam­men, ver­mischt sich, sich dann in etwas gänz­lich Neues zu ent­fal­ten. Obwohl zwi­schen unse­ren Tref­fen sel­ten mehr als zwei, nie mehr als drei Wochen lie­gen, scheint Johanna nie die­selbe zu sein, wie noch beim letz­ten Mal. Irgend­was ist immer anders. Mal ist es ihre Ernäh­rung, die pha­sen­weise eine voll­wer­tige, eine vegane oder auch nur eine kof­fein- und niko­tin­hal­tige ist. Mal ist es die Musik, die aus den faust­gro­ßen Kopf­hö­rern um ihren Hals dringt, mal ist es die Fri­sur oder deren Farbe, die sich dra­ma­tisch ver­än­dert hat. Und ich meine wirk­lich dra­ma­tisch! Von Zeit zu Zeit ist es eine noch bun­tere Täto­wie­rung oder ein ande­rer beäng­sti­gen­der Kör­per­schmuck, häu­fi­ger ist es der Typ an ihrer Seite, der neu ist. Johanna hat früh ange­fan­gen mit Jungs. Schon als sie zwölf war und wir uns noch gar nicht kann­ten. Seit­her war sie nie lang allein und auch nie lang zu zweit. Hei­ra­ten kommt für sie, anders als für mich, nicht in Frage. Weder könnte noch wollte sie sich fest­le­gen. Einen bestimm­ten Typ scheint Johanna nicht zu haben. Ein­zig, dass sie alle schon Mitte zwan­zig sind, scheint denen, die sie mir vor­stellt, gemein. Ich muss nicht erwäh­nen, dass das nichts für mich wäre. Ich habe andere Probleme.

Was nahezu bei jedem unse­rer Wie­der­se­hen anders ist, ist Johan­nas Art, sich zu klei­den. Tex­til­schwamm ist alles, was mir ein­fällt, wenn ich sie in ihrem WG-Zim­mer besu­che, das sie kürz­lich bezo­gen hat. Ich könnte nicht sagen, ob sich unter den Acces­soires und Klei­der­hü­geln, die vom japa­nisch­sten Neon bis zum sata­nisch­sten Schwarz jede denk­bare Farb­nu­ance beinhal­ten, Tep­pich­bo­den oder Par­kett fin­den ließe. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch ihr Renn­rad unter Stoff ver­schwin­det, wel­ches an der­sel­ben Wand hängt, an der in 9, 81 Meter und etwa genauso viel Kilo pro Sekunde dar­un­ter all ihre Plat­ten inklu­sive Tel­lern stapeln.

Hatte ich schon erwähnt, dass Johanna jetzt DJane ist? Seit sie, im Gegen­satz zu mir, die Schule geschmis­sen hat, hop­pert sie von Job zu Job. Seit neue­stem eben von Club zu Club.
Wäh­rend ich schon schlafe, fängt Johan­nas Tag gerade erst an – wenn meine Nacht endet, beginnt ihre. Weil ich stark ein­ge­bun­den bin, hatte ich bis­her keine Gele­gen­heit, sie auf­le­gen zu sehen. Als beste Freun­din hat Johanna Ver­ständ­nis dafür. Solang es das ist, was ich machen will, fin­det sie es auch gut. Egal, was es ist. Selbst so eke­lig erwach­sene Sachen. Mir ist wohl bewusst, dass ich, nun ja, ein wenig von der Norm abwei­che. Ebenso wie Johanna, bloß in die andere Rich­tung. Wei­test­ge­hend frei von Pha­sen, die Men­schen mei­nes Alters oft­mals zu durch­lei­den gezwun­gen sind, erar­beite ich mir ste­tig eine ebenso lücken- wie tadel­lose Vita, dabei mein Ziel, ein Stu­dium der Psy­cho­lo­gie, Schwer­punkt Ent­wick­lung, nie aus den Augen ver­lie­rend. Neben zahl­rei­chen Ver­pflich­tun­gen, die ich als Schü­ler­spre­che­rin, Haus­auf­ga­ben­pa­tin und ehren­amt­li­che Bera­te­rin am Jugend­te­le­fon wahr­nehme, bes­sere ich mein Taschen­geld durch das Hüten frem­der Leute Kin­der etwas auf. Den Ver­dienst spare ich, mir spä­ter zusätz­li­che Fach­li­te­ra­tur oder viel­leicht sogar ein Aus­lands­se­me­ster lei­sten zu kön­nen. Johanna fühlt sich zu jung und zu frei, um auch nur einen Gedan­ken ans Spa­ren zu ver­schwen­den. Obwohl sie von zuhause keine Unter­stüt­zung mehr bekommt, lädt sie mich oft ein. Das aller­dings sagt sie immer erst hin­ter­her, wohl wis­send, dass ich es sonst aus­schlüge. Dabei reicht die„Bist ein­ge­la­den!“ – Spann­breite von Mode­ge­trän­ken im Park über Mode­es­sen vom Lie­fer­dienst bis hin zu Tickets für aus der Mode gekom­me­ner Bands, deren Namen sie auf T‑Shirts trägt, solang diese ori­gi­nal und nicht Retro sind.

Wenn es Zeit und Inter­esse zulas­sen, begleite ich Johanna. Obwohl wir unter­schied­li­cher kaum sein könn­ten, ver­bringt sie ihre Zeit am lieb­sten mit mir und ich meine gern mit ihr. Mit Johanna wird es nie lang­wei­lig, ist immer was los. Wer weiß, wäre sie zwan­zig Jahre jün­ger und nicht meine Mut­ter, viel­leicht wären wir dann wirk­lich beste Freundinnen.


Alle Rechte bei der Autorin.
Abdruck mit freund­li­cher Geneh­mi­gung der Autorin.

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