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Die gute Fee

Siegfried Schütt

 

An einem Abend saß ein altes Bau­ern­paar red­lich müde von der Arbeit am Tisch und löf­felte seine Suppe. Da wurde es plötz­lich ganz hell in der Stube und eine wun­der­schöne junge Frau in einem gol­de­nen Kleid stand im Zim­mer und sagte: »Ich bin die Glücks­fee Anna Gül­den­pfen­nig und werde euch drei Wün­sche erfüllen.«
»Das wär‹ nicht schlecht«, freute sich der Bauer, »aber was sol­len wir uns wünschen?«
»Irgend etwas« sagte die Fee fröh­lich, »was immer ihr wollt. Wünscht euch doch eine Kuh.«
»Kommt nicht in Frage«, sagte der Bauer, »wir haben schon eine, und für eine zweite reicht das Fut­ter nicht.«
»Na schön«, sagte die Fee, »es kann ja auch etwas ande­res sein. Viel­leicht möch­tet ihr ein neues Haus. Das eure ist schon sehr alt.«
»Nie­mals«, wehrte der Bauer ab, »uns ist das alte gut genug.«
»Schon recht«, sagte die Fee, »aber ein neues wär‹ doch bes­ser. Ihr wünscht es euch, und im Nu ist es da.«
»Das kennt man schon«, erwi­derte der Bauer, »da wird ruck­zuck etwas hin­ge­baut, und dann muß man sich mit dem Schund her­um­pla­gen, über­all bröckelt der Putz von den Wän­den und die Türen klemmen.«
»Aber nein«, sagte die Fee, »in die­sem Haus klemmt keine Tür und es fällt auch kein Putz von den Wän­den und ein Zim­mer wird schö­ner als das andere sein.«
»An wie viele Zim­mer habt ihr denn so gedacht?« fragte der Bauer miß­trau­isch. »So viele ihr wollt«, rief die Fee, »20 oder 30 oder noch mehr!«
»Das fehlte noch«, mischte sich jetzt die Bäue­rin ins Gespräch, »wer soll denn das alles sau­ber hal­ten? Glaubt Ihr denn, ich habe so viel Zeit?«
»Also gut«, rief die Fee unge­hal­ten, »dann wünscht euch ein Haus mit zwei Zimmern.«
»Das haben wir schon«, ver­setzte der Bauer gelassen.
»Dann wünscht euch eben etwas ande­res«, sagte die Fee hän­de­rin­gend. »Wie wär’s mit 100.000 Talern?«
Da ver­fin­sterte sich das Gesicht des Bau­ern. »Ihr denkt wohl, wir las­sen uns zum Nar­ren hal­ten. Wir haben schon ein­mal einen Brief bekom­men und darin war von 10.000 Talern die Rede, die wir gewon­nen hät­ten, und dann war’s nichts. Wir soll­ten nur irgend­wel­che Küchen­ge­räte kaufen.«
»Aber nein!« rief die Fee ver­zwei­felt. »Ihr müßt über­haupt nichts kau­fen, ihr bekommt das Geld sofort!«
»Das sagen alle«, ent­geg­nete der Bauer unbe­irrt, »auf so etwas fal­len wir nicht mehr rein.«
»Aber irgend etwas müßt ihr euch doch wün­schen«, rief die Fee, den Trä­nen nahe, »es ist mein Amt, Wün­sche zu erfüllen!«
Da lächelte die Bäue­rin und sagte: »Ich hätt‹ schon einen Wunsch.«
»Da bin ich aber froh«, rief die Fee erleich­tert, »euer Wunsch wird euch sofort erfüllt.«
»Ach«, sagte die Bäue­rin, »wenn es nicht zu viel ver­langt wäre, hätte ich gern Euer gol­de­nes Kleid, so was Schö­nes habe ich noch nie gesehen.«
Da erschrak die Fee hef­tig. »Das geht doch nicht«, flü­sterte sie und wurde über und über rot, »dann wär‹ ich doch nackt.«
»Nur zu, nur zu«, rief der Bauer und rieb sich erwar­tungs­froh die Hände, »geniert Euch nur nicht!«
Doch da besann sich die Bäue­rin und sagte: »Das könnte dir so pas­sen, du alter Zau­sel.« zur Fee: »Behal­tet das
Kleid nur, ich wüßte auch gar nicht, wo ich es anzie­hen sollte. Im Stall oder auf dem Feld würde ich es nur verderben.«
Da atmete die Fee auf, schlüpfte im Nu zur Tür hin­aus und ward nie mehr gesehen.
Der Bauer und die Bäue­rin aber gin­gen zu Bett und träum­ten etwas Schö­nes – die Bäue­rin vom wun­der­schö­nen gol­de­nen Kleid der Fee und der Bauer von dem, was dar­un­ter zu ver­mu­ten war.


aus: Ursula und Sieg­fried Schütt – »Das große Fres­sen. Grim­mige Fabeln und Fabel­hafte Mär­chen, Edi­tion Orna­ment im quar­tus Ver­lag, Bd. 6., hg. Jens-Fietje Dwars, Bucha 2009. Mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Autors und des Ver­la­ges. Alle Rechte beim Verlag.
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