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Abglanz

Wolfgang Haak

 

Nichts war geblie­ben als ein ein­zi­ges Wort: Ster­be­glanz. Ich öff­nete die Hand und es fiel zwi­schen bunte Steine am Rand des Hoch­walds. Die Müdig­keit rauschte in den Espen über mir, die sich doch nicht vor dem Her­ren gebeugt hat­ten am Tag sie­ben der Schöp­fung. Die Stimme der Blät­ter: Hier sind wir unter dem Ster­be­glanz des Tages und zit­tern vor dem Haupt voll Blut und Trä­nen. Und schon kamen sie näher, die krei­schen­den Sägen über den sieb­ten Berg hin­weg, den sech­sten, den fünf­ten, im Tross der Toten­grä­ber, die das Gebein aus dem Boden wühl­ten und den Schä­deln die Augen öff­ne­ten. So sah ich sie, hin­ter Kreu­zen ver­schanzt an den Rän­dern der Auto­bah­nen hocken. Bis hier­her waren sie gekom­men Auf dem Boden der letz­ten Tat­sa­chen küsste man sich einst brü­der­lich um der Unschuld wil­len, die kei­ner Worte bedurfte. Schöne alte Zeit der Ehr­furcht vor den Kräu­tern und der Würde fau­len­der Baum­ge­rippe in den Hoch­moo­ren der ver­sun­ke­nen Welt. Wir lachen heute ange­sichts des Ster­be­glan­zes, der sich all­abend­lich in unse­ren Augen spie­gelt. Kein Will­kom­men, nur noch Abschied. Ich bücke mich unauf­fäl­lig, um das Wort zu suchen zwi­schen den Stei­nen, zit­ternd wie eine Espe, und weiß nicht, warum ich mich schäme unter den Blicken der Toten­grä­ber, die ihre Arbeit tun, wie jeder von uns, ob hier unten oder da oben, ganz egal.


aus: Baga­tel­len, Opus Nro III, Pros­ami­nia­tu­ren, Edi­tion Orna­ment Bd. 5, hg. Jens-Fietje Dwars, Bucha bei Jena, 2008, quartus-Verlag.
Abdruck mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Autors. Alle Rechte beim Autor.
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